Der Stückgutwagen No 2 der Zehlendorfer Eisenbahn

Erleben Sie in einer Milieustudie des alten Berlin um 1950 eine bildhafte Erlebnis­darstellung des (erdachten) Geschehens auf einem Güterbahnhof aus der Phantasiewelt von Vater und Sohn.
Auch wenn wir hier "nur" die Lektüre des Textes anbieten und den akustischen Genuss leider nicht ermöglichen können: Es loht sich — ein wunderbares "Kopfkino" !

JUNGE:  Vati, ich spiele Güterbahnhof.
VATER:  Ja, das ist schön.
JUNGE:  Der Sessel, wo du sitzt, ist das Stellwerk.
VATER:  Ja, gut - lass mich mal jetzt einen Augenblick.
JUNGE:  Und das sind die Schienen. Auf die Schienen darfst du nicht drauftreten,
        sonst verwischen sie.
VATER:  Ja doch. - Was sind die Schienen ?  - Bist du verrückt geworden ?  Mit
        der Kreide auf das Gebohnerte und den Teppich !  Bei dir ist wohl eine
        Schraube locker. Schließ die Tür ab.  Los !  Dalli !  Und dann wisch das
        auf. Wenn das Frau Gerredsen sieht, fliegen wir raus. - Nun mach schon !
        Willst du vielleicht heute nacht auf der Straße schlafen ?
JUNGE:  Mir egal - wenn man hier nicht mal...
VATER:  Mir aber nicht. Und darauf kommt es an.
JUNGE:  Nur weil du keine Frau hast, müssen wir uns alles gefallen lassen.
VATER:  Meinst du, Mutti hättest du den Boden so vollschmieren dürfen ?
JUNGE:  Mit Mutti waren wir schon fertig geworden.
VATER:  Sei ruhig jetzt. Wisch das Zeug weg. Alles. Und ordentlich.
JUNGE:  Es geht nicht runter vom Teppich.
VATER:  Junge !  Soll ich dir vormachen, wie’s runtergeht ?  Dann raucht’s aber !
JUNGE:  Es soll ja gar nicht runtergehn.
VATER:  Du !  Ich ...
JUNGE:  Ruhig, Vati !  Licht aus !
VATER:  Warum ?
WIRTIN: (auf dem Flur) Tür auf !  Das Essen !  Herr Franz !  Essen ! - Meine
        Güte, eh’ die so hören !  - He !  Hallo !  Soll ich denn hier draußen
        verfrieren mit dem Essen ? ... Das ist eine Art !  - Nanu. Also sowas.
        Da hört doch alles auf !  - Frieda !  Frieda !  Nummer sechs. Guck dir
        das an. Keiner da, Tür zu und Licht brennt. Siehst du ?  Was sagst du
        dazu ?  Nummer sechs.
VATER:  (flüsternd, wie der ganze folgende Dialog) Da haben wir den Salat !
JUNGE:  Lass doch die Alte !
VATER:  Von wegen !  Du wirst nachher hingehen und dich entschuldigen. Sagst,
        du hättest das Licht brennen lassen beim Weggehen.
JUNGE:  Ich hab’s ja gar nicht brennen lassen.
VATER:  Du gehst hin und entschuldigst dich !
JUNGE:  Ja, meinetwegen !
VATER:  Nun fang du nicht an, die gekränkte Leberwurst zu spielen.
JUNGE:  Tu ich ja gar nicht.
VATER:  Doch, ja. Und das passt mir nicht. Sonst gehst du sofort hin und mar-
        schierst dann auf der Stelle ins Bett. Ohne Federlesens.
        Verstanden ? - Ich spreche mit dir, willst du vielleicht antworten ?
JUNGE:  Ja.
VATER:  Hast du verstanden ?
JUNGE:  Was denn ?
VATER:  Du hast Schuld, du Dämlack, und dann bist du obendrein noch beleidigt.
        Und darüber muss  man dann noch wütend werden. Alles wegen deinem
        dreckigen Güterbahnhof... Das ganze Zimmer vollschmieren. Du bist so
        dämlich wie ein Bahnhofsvorsteher. Nicht fur einen Sechser Phantasie.
        Als wir jung waren...
JUNGE:  Was ist Phantasie ?
VATER:  Was das ist ? - Auf dem Bett liegen, zur Decke gucken und einen ganz
        großen Güterbahnhof haben. Und riechen. Zwanzig - dreißig Schienenpaare.
        Wie willst du das aufzeichnen ?  Die kriegst du gar nicht ins Zimmer
        rein. Und die Lokomotiven. Und der Ruß. Und das heiße Wasser von den
        Maschinen. Und die dreckigen Rangierer.
JUNGE:  Zwanzig - dreißig Schienenpaare, Vati ?
VATER:  Was denn sonst ?  Mindestens !  Zwei - drei Stellwerkshäuser brauchen
        sie, um die Weichen zu stellen. Die Stellwerkshäuser stehen über die
        Schienen weg, auf Storchenbeinen, damit die Lokomotiven und Züge unter
        ihnen durchfahren können.
JUNGE:  Ich wollte ja aber eigentlich einen ganz kleinen Bahnhof haben, Vati,
        wo ich alles selber machen kann.
VATER:  Das ist jetzt zu spät. Du bist jetzt auf einem riesengroßen. Das ist
        auch prima. Mach mal das Licht aus. - (Knipsen) - Ja. Und dann komm
        her. - Es ist Nacht. Von den Masten neben den Schienen baumeln Lampen.
        Wo ihr Licht auf die Schienen fällt, glänzen die  Schienen ganz toll.
        Drüben steht eine alte Rangierlok, pinkelt mit heißem Wasser die
        Schottersteine unter sich sauber, und aus ihrem Schornstein wächst
        Rauch. Neben den Weichen stehen Lampen mit Klosettfensterglas, undurch-
        sichtig ... Überall sind Lampen in die Luft gestiegen, zehn, fünfzehn
        Meter hoch, und leuchten, grün und rot. Manchmal erlischt eine. Manchmal
        dreht sich eine der weißen, undurchsichtigen Lampen und knackt dazu und
        stößt gegen Eisen und Blech. Hinter der Rangierlok steht eine Kolonne
        Personenwagen, leer und dunkel. Ja ?
JUNGE:  Ja. Aber ich wollte doch einen Bahnhof haben, wo ich Barrieren herunter-
        lassen muss und die Weichen selber stellen kann.
VATER:  Mensch, ich sage dir doch, wir sind jetzt auf einem riesengroßen.
        Dreißig Schienenpaare. Kapier das doch endlich. Man kann doch nicht
        immerzu alles ummodeln. Das kannst du doch in Wirklichkeit auch nicht.
        Und wenn dir das nicht passt, hau ab. Du musst ein bisschen kamerad-
        schaftlich sein und mitmachen, sonst geht das nicht.
JUNGE:  Ja, ich will ja. - Aber wir können nachher mal vielleicht mit einem
        Güterzug zu einem kleinen Bahnhof fahren, nicht ?
VATER:  Gut, das können wir machen. Aber wie ?  Was willst du fahren ?  Was bist
        du überhaupt ?  Was arbeitest du ?
JUNGE:  Wieso, Vati ?
VATER:  Was heißt hier "Vati" ?  Ich bin hier Kontrolleur und habe eine Mütze
        mit einem roten Streifen auf. Und kontrolliere gerade, ob Personen auf
        dem Bahngelände sind, die hier nichts zu suchen haben. Nun frage ich
        dich: Was machen Sie denn hier ?
JUNGE:  Aber ich wollte doch der Direktor sein, Vati !
VATER:  Der Direktor ?  Der hat nichts auf dem Bahnhof zu suchen. Der sitzt in
        der Stadt hinter seinem Schreibtisch. Außerdem bist du viel zu jung für
        einen Direktor. Du bist doch so ein junger siebzehnjähriger Flegel mit
        der Schirmmütze im Genick. - Was machen Sie denn hier ?
JUNGE:  Ich stelle die Weiche.
VATER:  Ach ? Das ist ja interessant. Weichen werden doch vom Stellwerk aus
        gestellt. Machen Sie bloß nichts kaputt. - Wie alt sind Sie denn,
        junger Mann ?
JUNGE:  Siebzehn.
VATER:  Siebzehn. Da lernen Sie wohl gerade hier ?
JUNGE:  Ja.
VATER:  Gut, Walter. - Ja, dann ... Was haben Sie denn in der Hand ?  Eine
        Ölkanne ?
JUNGE:  Ja.
VATER:  Also wollen Sie die Weiche ölen ?  Das ist aber etwas ganz anderes als
        stellen. - Sie können eine Weiche natürlich auch immer noch mit der Hand
        stellen, an Ort und Stelle. Aber an und für sich ist das verboten. Aber
        weil ich jetzt gerade dabei bin - fassen Sie doch mal an die Schiene und
        drücken Sie sie rüber. Wenn sie gut geölt ist, muss es gehen. - Geht’s ?
JUNGE:  Was soll ich denn machen ?
VATER:  Drücken. - Geht’s ?
JUNGE:  Ich weiß nicht.
VATER:  Ich weiß nicht !  Was ist denn das für eine Dienstauffassung ?  Schlapp-
        schwänzige Art !  Los, komm. Wollen wir mal zusammen versuchen. - Jawohl,
        jetzt geht’s. Gut, Junge. Jetzt zurück. Au, verdammt, das ist aber
        verflucht schwer. Was lachst du denn ?  Lachst du über mich ?  Das ist
        so mit den Weichen, glaub’s mir. - Menschenskind, die Lokomotive fährt
        ja los !  Die Lokomotive, von der ich dir vorhin gesagt habe. Die steht
        auf diesem Gleis ?  Das wusste ich ja gar nicht.
        Das ist ja unerhört.
JUNGE:  Fährt sie auf uns zu ?
VATER:  Direkt.
JUNGE:  Wir haben doch eine Lampe bei uns, wie sie die Rangierer immer haben,
        nicht, Vati ?  Zum Winken ?
VATER:  Ja.
JUNGE:  Dann schwenk sie hin und her. Das wird so gemacht.
VATER:  Lampe kaputt. Zu Boden gefallen. Zerklirrt. Eben, jetzt !  Meine Hände
        zittern so.
JUNGE:  Mensch, Vati, weißt du...
VATER:  Der Zug wird immer schneller und kommt immer näher. - Was machen wir ?
        Wenn der Zug falsch fährt, verlieren wir unseren Posten. - Dann kriegen
        wir kein Geld mehr, dann müssen wir hier ausziehen und im Rinnstein
        schlafen.
JUNGE:  Versuch es doch nochmal mit der Weiche.
VATER:  Und du ?  Schlafmütze !  Der Zug kommt immer näher. Wir müssen was tun.
JUNGE:  Ich drücke auch gegen die Weiche. Das musst du aber auch merken. Ich
        glaube, es geht.
VATER:  Es geht nicht. Du täuschst dich. Du machst dir das zu einfach.
        So einfach ist das nicht ... Alles viel verzweifelter. (Ruft halblaut)
        Stellwerk !  Stellwerk !  Die Weiche ! - Dieser verdammte Wind. -
        Vielleicht hören sie uns. Du musst auch schreien.
JUNGE:  Ach, weißt du...
VATER:  Na, wieso ?  Weißt du was Besseres ?  Sag’s oder sonst schrei.
JUNGE:  (lustlos) Stellwerk !  Stellwerk !
VATER:  Lauter ! Der Zug kommt !  Hörst du denn das überhaupt nicht ?
JUNGE:  (ganz laut) Stellwerk !  Stellwerk !  Die Weiche ! - (halblaut) Aua,
        Vati !
        Das ist ...
VATER:  (laut flüsternd) Du bist ein richtiger Idiot und Spielverderber, weißt
        du das ?
JUNGE:  Wieso ?
VATER:  Geh, mach deinen Kram allein. Mir ist's egal.
JUNGE:  Nein, Vati, komm ...
VATER:  Ich hab keine Lust mehr.
JUNGE:  Und der Zug ?  Vati !  ...Du ! In Wirklichkeit könntest du ja jetzt
        auch nicht aufhören. Hast du selber gesagt, Vati !  Herr Kontrolleur !
        - Oh, ich weiß was !  Hör doch mal !  Hier liegt eine Brechstange.
        Damit kann man großartig was machen. Die nehmen wir, klar ?  Mit der
        kriegen wir die Schiene rübergestemmt. Aber schnell !  Der Zug !  Nimm
        sie !  Du bist stärker, du musst mit anfassen.
VATER:  Sei mal ruhig, Walter.
JUNGE:  Meinst du den Zug ?  Schaffen wir noch. Ist noch Zeit. Vati, unsere
        Posten !
VATER:  Ruhig mal. - Ich glaube ... ja, die Gerredsen. Ist der Teppich sauber ?
JUNGE:  Nein, Vati.
WIRTIN: Schlafen Sie schon, Herr Franz ? - Herr Franz !  Sind Sie zu Hause ?
        (klopft)
        Schlafen wohl schon. - Schlafen Sie schon ?  (klopft) Müssen doch
        aufgewacht sein. - Ich frage wegen des Essens !  Frieda !  Für sechs
        kein Essen mehr.
        Scheinen nicht da zu sein. Oder sie wollen nicht aufmachen. Denn vorhin
        brannte da nämlich Licht, weißt du ?  Frieda !  Aber das Essen kommt
        auf die Rechnung, hast du gehört ? - Nee, scheinen nicht da zu sein.
JUNGE:  (flüsternd) So eine Hexe !
VATER:  Die Rechnung ist noch nicht ganz bezahlt.
JUNGE:  Welche ?
VATER:  Die vorletzte, Walter.
JUNGE:  Ach so ... von welchem Monat ist denn die ?
VATER:  Weiß ich im Augenblick gar nicht ganz genau.
JUNGE:  Deshalb braucht sie aber trotzdem nicht so zu sein.
VATER:  Doch - das ist schon zu verstehen.
JUNGE:  Ja ?  Das ist aber schlimm.
VATER:  Ja.
                  ****  kurze Pause  ****
JUNGE:  Meine Schuhe gehen vorn kaputt. Fühl mal. Den rechten.
VATER:  Ich weiß.
JUNGE:  Fühl doch mal richtig.
VATER:  Ich weiß ja. Schon eine ganze Weile.
JUNGE:  Weißt du ?
VATER:  Ja.
JUNGE:  Das ist aber nicht schlimm, nicht ?
VATER:  Doch. Auch.
JUNGE:  Nein, das ist nicht schlimm. Bestimmt nicht. Das weiß ich doch.
VATER:  Wenn die Schuhe nicht bald gemacht werden, können sie überhaupt nicht
        mehr repariert werden, deshalb.
JUNGE:  Dann kaufst du eben gleich ein Paar neue. Du wirst dann schon wieder
        Geld haben. Du hast ja immer wieder Geld. - Jetzt habe ich Hunger.
VATER:  Ja. Wollen wir nicht vorher noch schnell versuchen, die Weiche
        herumzukriegen ?
JUNGE:  Gut, ja. Womit denn ?  Mit dem Stemmeisen ?  Mach doch !  Mach !
VATER:  Die Lok tost heran. Gut, Junge, gut. - Wagen um Wagen donnert an
        uns vorbei. - Alles heil bei dir, Junge ?
JUNGE:  Ja. Nur den Ellenbogen ein bisschen aufgeschlagen.
VATER:  Der letzte Wagen ist vorbei. Es ist wieder still. Wir sitzen auf den
        Schottersteinen neben den Schienen. Ich knöpfe mir den Kragen auf.
        Du ziehst die Jacke aus. Ich sage zu dir: Junge, verkühl dich nicht.
        Es ist empfindlich kalt nachts. Du merkst das nur nicht, weil du
        geschwitzt bist.
JUNGE:  Ach, lassen Sie man, Herr Kontrolleur. Ich bin noch jung und
        abgehärtet. - Stimmt’s ?
VATER:  Prima. - Holst uns mal einen Pott Wasser, Junge ?  Ich habe einen
        unheimlichen Durst. ... Plötzlich - wart noch einen Moment, Walter -
        geht ein Fenster vom Stellwerkshaus auf, schreit einer runter:
        "Sitzt da wer an der Weiche ?"  Ich denke ...
JUNGE:  Verduften.
VATER:  Jawohl. Ich sage zu dir ... da schreit der vom Stellwerkshaus:
        "Karl, du ?  Und Walter ?"
JUNGE:  "Walter" schreit der ?
VATER:  Ja, das ist dein Chef. Dein Lehrmeister. Der einbeinige Fritz vom
        Stellwerk II. Bei dem lernst du.
JUNGE:  Das ist mies. Der hat uns doch gesehen ?
VATER:  Nun muss ich mich aufrichten. Ich rufe: "Fritz, ja, was ist denn ?"
        Da schreit er zurück ... was denkst du wohl, was der schreit ?  Hör
        doch mal. Hörst du nichts ?  In der Ferne ?  Ganz leise noch, weißt du ?
JUNGE:  Ein Zug ?
VATER:  Ja. Ein Zug. Und nun pass auf, was der Fritz schreit: "Weiche drei
        funktioniert nicht."  Das ist die, die wir kaputtgemacht haben.
        "Weiche drei funktioniert nicht. Und in einer halben Minute i’t der
        D dreiunddrei’ig au’ München da. Die Weiche klemmt!"  schreit er. -
        Was sagst du dazu ?
JUNGE:  Wir stellen noch mal die Weiche.
VATER:  Dann schrei es rauf.
JUNGE:  (halblaut rufend) Wir werden die Weiche stellen.
VATER:  Das ist falsch, Walter, weißt du ?  Wie sagst du zum Beispiel, wenn
        dir morgens einer sagt, es ist fünf nach acht, und dabei bist du noch
        zehn Minuten von der Schule entfernt ?
JUNGE:  Wie ?
VATER:  Was sagst du, wenn du morgens in die Schule kommst, und es ist ganz
        leer auf der Treppe, und in der Klasse spricht schon der Lehrer ?
JUNGE:  Na ... verfluchter Mist ?
VATER:  Ja. Und so sagst du hier auch. Ruf’s rauf zu Fritz !
JUNGE:  Verfluchter Mist !
VATER:  Und dann stürzt du dich auf die Weiche.
JUNGE:  Dann stürz ich mich auf die Weiche.
VATER:  Der D-Zug donnert heran. Er donnert heran. Schaffen wir’s ?
JUNGE:  Ich weiß nicht. Ja, Vati, nicht ?  Vati ?
VATER:  Ich meine, ja.
JUNGE:  Na klar schaffen wir’s. Mit dem Stemmeisen. Alles klar.
VATER:  Der Luftdruck wirft uns beiseite. Mir reißt brühendes Wasser Hautfetzen
        vom Gesicht, dir versengen Kohlefunken das halbe Haar.  Alle Fenster
        des Zuges sind erleuchtet. Der Speisewagen kommt vorbei. Mitropa. Rot.
        Alle Räder hämmern über die Weiche. - Da sitzen sie und schlafen.
        Und lesen und fressen und sprechen. Und haben von nichts eine Ahnung.
        Von nichts. - Hol uns einen Pott Wasser, Junge, wir haben ihn verdient.
JUNGE:  Ein Glas Wasser, Vati ?
VATER:  Geh dahin, wo die Lokomotiven tanken.
JUNGE:  Ja, Herr Kontrolleur.
VATER:  Wie du wiederkommst, steht der einbeinige Fritz neben dir und umarmt
        dich. "Da’ ha’t du gro’artig gemacht, Junge", sagt er. - Du lachst ?
        "Lach nur, Junge. Du bi’t der famo’e’te Kerl, den ich kenne. Wa’
        machen wir nur mit dir ?"  Der Fritz kann das S nicht sprechen, Walter,
        das musst du doch schon gemerkt haben. "Du bi’t ein richtiger kleiner
        Held, Junge."
JUNGE:  Ich hab jetzt aber wirklich so’n Hunger.
VATER:  Du bist eine Krampe. Hol die Wurst aus dem Schrank. Die Schrippen sind
        in meinem Hut, und dann lass mich in Ruhe. Oder warte noch eine
        Sekunde. -  Ist ja gut, was du gesagt hast. Gar nicht so übel, wie
        du denkst. "Gro’artig, Junge. Du gefäll’t mir immer be’er, da’ du nicht
        gleich von Pflichterfüllung und ’o einem T’eug rede’t."  - Fritz, der
        Junge muss was essen, und zwar was Ordentliches. Wir rufen jetzt den
        Direktor an, und er lässt ein Pfundsessen springen für den Jungen. -
        "Ja, ein Pfunde’en für den Jungen, Karl." - Oder noch was anderes,
        Fritz. - "Wa’ denn ?" - Was soll er denn mit einem Essen vom Direktor.
        Stimmt’s, Junge ?  Da sitzt er an einem weißen Tischtuch und darf nicht
        kleckern und wird immerzu was gefragt, und das Essen bleibt ihm vorm
        Magen stehen. -
        "Ja, da’ i’t wahr, Karl." - Und deshalb sag ich dir folgendes: Du hast
        noch ein Stück Wurst im Spinde, und ich auch, und dann kaufen wir ein
        paar Flaschen Malzbier dazu, und dann isst der Junge erst mal, bis er
        nicht mehr kann. Für den Direktor bleibt noch allemal was zu tun übrig.
        Wird uns schon was einfallen. Einverstanden, Walter ?
JUNGE:  Ja.
VATER:  Gut. Lass mich nur noch schnell einen Schluck trinken. Solange ich noch
        durstig bin. Schwitzen, verdorrt sein und staubig, das ist doch alles
        nur fürs Wasser da. Um hinterher trinken zu können. Also muss man es
        ausnützen, wenn man nun schon mal soweit ist. Trinken braucht Durst -
        zwei, drei Gläser brauchen oft einen ganzen langen Arbeitstag, mit
        Sonne, Kohlenschaufeln, Fluchen und klebrigem Speichel. Lohnt das ?
        Nein. Zumindest hebt es sich auf. Was wäre, wenn man beides bleiben
        ließe ?  - Nichts verloren. Man könnte sich beides sparen. Viel Zeit
        wurde man haben. Aber davon ist gar keine Rede. Und das gehört dazu.
        Es gehört dazu, dass gar keine Rede von ihnen ist, von Durst und
        Trinken. Sie sind gar nicht wichtig, stehen auf keinem Programm,
        wo sonst alles mit Uhrzeit angegeben ist. Sie haben auch kein Büro,
        wo man sich nach ihrem Aufenthaltsort erkundigen kann. Aber sie sind
        immer frisch, taufrisch, wenn sie kommen. Das ist ihr Geheimnis. Und
        dann stehst du eben da, setzt mit zwei Händen den Topf an und siehst
        über den Topf weg zu den Sternen. Und im Mund und dahinter wird es
        taufrisch, original, ganz original. Und das ist selten. Gebirge, Meer,
        ein blankgeputzter Marienkäfer, weiser alter Mann, das ist von
        derselben Qualität. Du möchtest mehr wissen, säufst, strudelst das
        Wasser rein, beißt zu - ja, ja, denkst du, gut. Dann wirst du fühllos,
        hast zuviel, lässt es die Mundwinkel hinunterlaufen. Du fängst an zu
        spielen. "Bah", sagst du, "das war gut."  Und weil du ein bisschen
        beduselt bist und nicht mehr ganz empfindlich, weißt du nicht mehr
        ganz genau, ob es wirklich ganz nötig war, so toll zu trinken. -
        Das ist Undankbarkeit, deine eigne, nur von dir, und sie macht dich
        nicht froher. - Oder liegt es doch daran, da  es nicht nötig war,
        so zu trinken ?  Und auch das Originale, das Taufrische - das kann
        Täuschung gewesen sein, Krankheit, Hysterie ... Ich weiß nicht.
        Wirklich nicht. Eins steht fest: du vergisst ein paar der Pumpen
        nicht, vor denen du gestanden hast. Pumpen, Quellen, Wasserhähne,
        Eimer, Gläser, sie werden nicht kleiner, auch wenn du älter wirst.
        Leidenschaftslos sind sie von Zeit zu Zeit die vordersten Stücke
        in deinem Gedächtnis. - Bleiben. - Kretins, Parvenus, oder wertvoll,
        wie alte Bilder ?
        Egal. - Ich konnte diese Sätze sagen. So klug bin ich noch. Sie
        können Bruch sein. Aber auch das Gebell eines Hundes kann wertvoll
        sein, es fällt in die Augen und Ohren seines Herrn und weckt die
        Freude.
JUNGE:  Es ist keine Wurst im Schrank.
VATER:  "E’ i’t keine Wur’t im Chrank, Karl." - Dann müssen wir sofort was
        tun für den Jungen.
JUNGE:  Und wir werden kein Essen mehr kriegen in der Küche.
VATER:  Wir werden kein Essen mehr kriegen. - Eins will ich dir noch sagen,
        einbeiniger Fritz: wir werden dem Wasser noch auf die Spur kommen ...
        Ich will wissen, was dieses Zeug so einzig macht. - "Verbohr dich nicht.
        E’ i’t doch nicht nur da’ Wa’er, Karl." - Nein, du hast recht, Fritz -
        es ist nicht nur das Wasser. Ich komme wohl auch nur darauf, weil du es
        ja nicht mal richtig aussprechen kannst. Lass man, Fritz. Du bist sonst
        anständiger als wir. Du kannst nur Schei’e sagen, aber nicht, wie es
        richtig heißt. - Lach nicht, Junge. Mach mal Licht an. Im Stellwerk
        ist es auch hell. Wirklich nichts mehr drin im Schrank ?  Wir werden
        schon was auftreiben. Sie haben uns vergessen, weißt du.
JUNGE:  Nein, wir haben nicht ...
VATER:  Was ist das für ein Lärm nebenan ?
JUNGE:  Nummer sieben. Herr Güntzel und die Weiber.
VATER:  Was für Weiber ?
JUNGE:  Die, die immer unten in das Lokal gehen.
VATER:  Ach so.
JUNGE:  Die kann man kaufen.
VATER:  Ach.
JUNGE:  Wusstest du das noch nicht ?
VATER:  Doch, doch.
JUNGE:  Kaufen und machen, was man will.
VATER:  Ja, ja.
JUNGE:  Du kannst die verkloppen, glaubst du ?
VATER:  Das kostet aber eine Menge.
JUNGE:  Wieviel ?
VATER:  Da kannst du dir zwei Paar Rollschuhe für kaufen.
JUNGE:  Zwei Paar Rollschuhe ?
VATER:  Ja. - Vielleicht auch nur eins.
JUNGE:  Ach.
VATER:  Ja, du Affe. Kommt ganz drauf an, wie hübsch sie sind.
JUNGE:  Es ist aber keine Hübsche dabei.
VATER:  So ?  Hast du das auch schon gemerkt ?  - Wer hat dir das eigentlich
        erzählt ?
JUNGE:  Was denn ? Niemand.
VATER:  Das mit dem Kaufen. - Gib mir bitte mal den Schuhkrem her.
JUNGE:  Hier.
VATER:  Danke. - Wer ?
JUNGE:  Warum willst du das wissen ?
VATER:  Rudi hat dir das erzählt.
JUNGE:  Nein. Woher weißt du das ?
VATER:  Was hat er dir erzählt ?
JUNGE:  Nichts.
VATER:  Gut. - Wenn du meinst. Gut. - Aber wenn du mir nichts erzählst, erzähle
        ich dir auch nichts mehr.
JUNGE:  Brauchst ja auch nicht. - Was Rudi erzählt, ist wahr. Ich habe es selbst
        gesehen. Es ist viel wahrer als deins.
VATER:  Blankputzbürste. - Danke. Gib deine Schuhe her.
JUNGE:  Ich möchte sie selber putzen, Vati.
VATER:  Du nimmst zuviel Creme.
JUNGE:  Lass mich doch. - Danke.
VATER:  Morgen kriege ich fünfzig Mark.
JUNGE:  Dann wolltest du mir einen Fußball kaufen.
VATER:  Ich mag gar nicht mehr.
JUNGE:  Du bist aber auch komisch.
VATER:  Ich habe einen Staubsauger verkauft.
JUNGE:  Den, der da steht ?
VATER:  Nein, einen anderen.
JUNGE:  Dann kauf mir doch einen Fußball !  Dann können wir doch alle spielen !
        Keiner hat einen !  Wir haben nur einen Stoffball, mit Papier
        ausgestopft.
VATER:  Ich mag nicht, dass du mit Rudi sprichst.
JUNGE:  Was er gesagt hat, ist wahr !  Ich habe es selbst gesehen !
VATER:  Mit Rudi, was ?
JUNGE:  Aber es ist wahr !  Und schlimm !
VATER:  Was hast du denn schon gesehen ?  Einen Mann, der auf einer Frau liegt.
        Stimmt’s ?
JUNGE:  Rudi - ...
VATER:  Und sie hatten nichts an. Und bewegten sich - wie die Fische und Krebse
        auf dem Markt - wenn sie noch nicht tot sind. Stimmt’s ?
JUNGE:  Vati - ...
VATER:  Sie sprachen oder taten, als wären sie sich böse oder als hätten sie
        ein Wehweh. Was haben sie gemacht ?  Gesprochen ?  Was denn ?  Was
        haben sie gesprochen ?  Komm mal her, Walter !  Du brauchst nicht zu
        weinen, Walter, du brauchst doch nicht zu weinen. Das ist doch nicht
        schlimm. - Rudi hat dir das gezeigt, du kleiner Dämelsack ?  Durchs
        Schlüsselloch ?  Und du hast ordentlich dafür bezahlt, mein Fratzke,
        nicht ?  Wieviel denn ?
JUNGE:  (schluchzend) Zwanzig Pfennig !
VATER:  Zwanzig Pfennig !  Donnerwetter !  Wo hast du die denn bloß hergehabt,
        mein kleiner doofer Krösus ?  Zwanzig ganze Pfennige !  Damit hättest
        du einmal mit der Stadtbahn rundherum fahren können, und du hättest
        viel mehr gesehen.
JUNGE:  Ja !  Und so lange gespart !
VATER:  Ja, mein kleiner Prinz. Nun wisch dir mal die Nase ab, du kleiner
        Dummbüdel. Der ganze Rotz kommt aufs Hemd. - So. Hast du denn kein
        Taschentuch ?  Nein ?  Du, das mit den Taschentüchern gefällt mir
        gar nicht. Wo lässt du denn bloß immer die Taschentücher ?
JUNGE:  So ein Mist !  Das ganze Geld ist weg !  Rudi hat gesagt, es wär so
        schön !  Ich hatte gedacht, es wär wie im Zirkus !  Dann wollt ich das
        Geld wiederhaben, und dann hat er mich verhauen, und zuletzt ist der
        Mann aus dem Zimmer gekommen und hat mit einem Pantoffel geschlagen !
VATER:  Da hast du Pech gehabt. Für sowas sparst du nun. - Nun ist alles weg.
        Walter, soll ich dir mal was sagen ?
JUNGE:  Ja, Vati.
VATER:  Ich geb dir jetzt zwanzig Pfennig. Ja ?
JUNGE:  O ja !
VATER:  Und dann: kannst machen damit, was du willst. Kannst auch noch mal zu
        Rudi gehn damit.
JUNGE:  Ich bin doch nicht nochmal so verrückt, Vati !
VATER:  Nun ist alles wieder in Ordnung, ja ?  Nun zieh dich schnell aus und
        geh ins Bett. Ich werde sehen, dass wir noch was zu essen kriegen.
        Mach den Teppich sauber, erst. Aber wirklich ein bisschen schnell,
        Walter !
JUNGE:  Ja. - Warum machen der Mann und die Frau das eigentlich ?
VATER:  Warum läufst du den Rollschuh ?
JUNGE:  Weil’s mir Spaß macht.
VATER:  Na, also.
JUNGE:  Macht denen denn das Spaß ?
VATER:  Sonst würden sie es doch wahrscheinlich nicht machen.
JUNGE:  Komisch. - Weißt du, was ich mit den zwanzig Pfennigen mache ?
VATER:  (macht die Tür auf, laut) Frau Gerredsen !  Frau Gerredsen !
        Verdammt noch mal !
WIRTIN: (ebenfalls rufend und dabei näherkommend) Welcher Suffkopp brüllt
        denn da wie ein Verrückter ?!
VATER:  Nummer sechs, Logiergast Franz. Komm her, alte Schlummerbrust,
        verdammtes Rabenaas !
WIRTIN: Warte mal, Bürschchen, ich komme !
VATER:  Beeil dich, sag ich dir, morgen ziehen wir nämlich.
WIRTIN: Soll ich dich zur Räson bringen lassen ?
VATER:  Morgen ziehen wir. Wir haben schon die Schuhe geputzt. Morgen, morgen.
        Endgültig, dabei bleibt’s.
WIRTIN: Rein ins Zimmer, kein Krakeel hier auf dem Flur !
VATER:  Weißt du, was dein Rudi ist ?  Ein Hurenbengel !  Nichts weiter.
        Er hat den Walter für zwanzig Pfennig durchs Schlüsselloch gucken
        lassen. So was hab ich mir schon immer von dem Dreckstück gedacht.
        Nichts weiter ist er. Und das kann ich mir nicht bieten lassen.
        Wir ziehen. Und zwar jetzt.
WIRTIN: Mein Geld !
VATER:  Auf der Stelle ziehen wir.
WIRTIN: Deine Schulden !  Ich hole die Polizei.
VATER:  Und ich schreie, sie soll kommen. Rudi, zieh dich an !  "Rudi" sag
        ich schon !  Walter, los, dalli !  Unter einem solchen Dach wohnen
        wir nicht länger !  Keine Stunde. Du kriegst dein Geld. Du hast noch
        alles von mir bekommen. Komm mit zur Polizei meinetwegen. Ich muss
        jetzt hier raus. Hol den Wachtmeister, meinetwegen. Er glaubt mir
        so viel wie dir, pass auf. Über die beiden Geldhalunken hat er mir
        auch geglaubt. - Walter, fertig ? - Mein Name ist in Ordnung, kann
        ich dir nur sagen. Trotz der hundertfünfzig Mark Schulden !
WIRTIN: Walter, nun lass du dich man nicht auch noch verrückt machen. Komm
        in die Küche, kriegst was. Dein Vater ist ja ein Schwätzer und Säufer.
        Hier, guck die Flaschen. Hast du die schon mal gesehen ?  Alles
        versoffenes Fressen. Wie oft er stinkt und herumtaumelt !
JUNGE:  Vati, wollen wir nicht erst noch was essen in der Küche ?
VATER:  Eins von beiden geht nur.
JUNGE:  Ich hab wirklich Hunger !
VATER:  Mach dir die Schnürsenkel zu. - Vom Wasser hab ich erzählt, nicht
        wahr ?
        Ich habe einen Staubsauger verkauft. - Aktentasche, Staubsauger,
        Rasierzeug, Waschzeug, Unterhosen, Hemden ... Walter, wo ist der
        Ranzen ?  Ja, gut. Und da drüben, das Geschichtenbuch ...  Ich
        verkaufe Staubsauger, ich werde, werde, werde ...  Strümpfe
        hochziehen !  Wir gehen jetzt in eine anständige Gegend.
WIRTIN: Sei doch nicht verrückt.
VATER:  Ach, warum das auf einmal ?  Dir ist wohl mein guter Name eingefallen ?
        Das Seriöse ?  Die Seriosität in deinem Gästebuch ?!
WIRTIN: Das weißt du ganz genau.
VATER:  Ja, das weiß ich ganz genau. Manchmal, wenn die Polizei kommt, dann bin
        ich direkt was bei euch. Das hat auch was für sich, zugegeben.
JUNGE:  Dann komm also, Vati, ich habe alles.
VATER:  Hast du gehört ?  Der Junge hat entschieden. Dafür kannst du jetzt mal
        Rattengift streuen in unserem Zimmer. Jetzt kriecht keiner mehr herum
        auf dem Boden. Tschüß. (Schritte entfernen sich)
WIRTIN: Frieda ? - Frieda, wir vermieten sechs stundenweise. Wäsche kann noch
        bleiben. Nachher zwei frische Handtücher herein. - Ich möchte mal
        wissen, wo der Rudi steckt... (Tür knallt zu, schneidet die Worte
        der Wirtin ab.)

                                   **** ****

(Schritte im Treppenhaus.)
JUNGE:  Vati ...
VATER:  Quatsch jetzt nicht. Ich kann auch nichts sehen. Halt dich am Geländer
        fest. Pass auf, die eine Stufe ist kaputt.
JUNGE:  Wo gehen wir jetzt hin ?
VATER:  Weiß ich noch nicht. - Sei nicht traurig. Wir werden schon irgendwas
        finden, glaubst du ?
JUNGE:  Warum gehen wir denn hier weg ?
VATER:  Fass mich an. Richtig. Jetzt sind wir erstmal hier raus. Das ist schon
        was wert. - Das ist hier nichts für uns. Deshalb, Walter.
JUNGE:  Vati...
VATER:  Lass mich mal einen Augenblick überlegen.
JUNGE:  Ich möchte gern den Koffer tragen.
VATER:  Bitte.
JUNGE:  Lass uns doch nach Hause gehen.
VATER:  Nach Hause ?
JUNGE:  Herr Brandt hat gesagt, da könnte jeder hin, der wollte. Da ist es ganz
        hell, und der Weg dahin ist auch hell. Ich weiß nur nicht ...
VATER:  Wer ist denn Herr Brandt ?
JUNGE:  Ach, in der Schule der.
VATER:  Der, bei dem ihr Religion habt, ja ?  Ja, ich weiß  schon. Übrigens,
        Rotes Kreuz oder Bahnhofsmission, das wäre vielleicht gar nicht so dumm.
JUNGE:  Er hat ja auch mal gesagt, ich hätte überhaupt noch gar kein richtiges
        Zuhause.
VATER:  Hat er gesagt ?
JUNGE:  Ja, ja.
VATER:  Warte mal. Hier. Nummer vierundzwanzig. Das muss es sein. - Ach, hör
        doch mal ... da hör ich sie auch schon grölen. - Weißt du, das ist hier
        ja alles dieselbe Gegend. Das hat gar keinen Zweck. Vielleicht kenn
        ich hier auch zuviel. Wir müssen hier weg. - Pass mal auf: Hast du
        die zwanzig Pfennig noch ?  Wo ?  Zeig her. Die borgst du mir bis
        morgen, ja ?
JUNGE:  Ach ...
VATER:  Nun mach doch keine Sachen.
JUNGE:  Aber ich wollte doch ... Du hast schon mal was gesagt, und nachher ...
VATER:  Ehrenwort, dass du sie morgen wiederkriegst.
JUNGE:  Ach.
VATER:  Gib her. - Mit dir muss man immer erst grob werden.
JUNGE:  Ich finde das gemein.
VATER:  Sei nicht böse. Bist mein kleiner Prinz. Ich meine es gut. Wirklich.
        Pass auf: Du gehst zur S-Bahn rüber, nimmst eine Karte, gehst auf den
        Bahnsteig,und da wartest du.
JUNGE:  Und du ?
VATER:  Ich komme nach. Wenn der Zug kommt. Laufe durch die Sperre. Einer muss
        laufen.
JUNGE:  Warum ?
VATER:  Nun lass mich jetzt mal einen Augenblick. - Geh du schon.
JUNGE:  Jetzt versteh ich. Lass mich laufen. Und weißt du was ?  Du läufst auch.
        Wir laufen beide. Dann kann ich gleich die zwanzig Pfennig behalten.
VATER:  Nein, kommt nicht in Frage.
JUNGE:  Nun muss ich mein Geld doch wieder hergeben.
VATER:  Gibst es ja doch nur für Dummheiten aus. Geh jetzt. Los. Und wehe,
        wenn du nicht bezahlst. Ich frage !

(Kinderschritte die Treppe hinauf. Zug fährt ein, hält.
Eilige Schritte die Treppe hinauf.
Stimme des Kontrolleurs: "Halt, halt !  Sie mit dem Staubsauger !"
Gleich darauf Stimme des Schaffners: "Abfahren !"
Zug fährt ab.)

Wiedergabe mit freundlicher Einwilligung des Autors