Wie alles begann... 

Zu den Paradepferden der Deutschen Reichsbahn gehörten sie seit je, die schnellen Renner der Bau­reihe 03. Von 1930 bis 1981 (ab­ge­sehen von der be­triebs­fähig gehal­tenen Tra­ditions­loko­motive 03 001) immerhin ein halbes Jahrhundert auf Deutschlands Schie­nen — das ist für Eisen­bahn­fahr­zeuge von heute recht unüb­lich bzw. von vorn­herein nicht vorge­sehen.
So war es durchaus nicht unangemessen, die Aus­muste­rung der letzten Maschine dieser Baureihe mit einem kleinen Festakt zu würdigen.

Die notorischen Frühaufsteher der AG Märkische Klein­bahn hatten die Gelegen­heit, diese Feier­lichkeit am 30. Juli 1981 im Bahnbetriebs­werk Görlitz mitzuerleben. Die 03 2172-9 (oder 03 172, wie sie vorher hieß) war schon seit einiger Zeit zur Aus­muste­rung vor­gese­hen und ab­gestellt worden. Für den Festtag war sie aber von den Ange­hörigen des Bw Görlitz fein heraus­geputzt und in einen foto­genen Zustand versetzt worden. Dazu herr­liches Foto­grafier­wetter, als die Gruppe gegen 10:30 Uhr im Bw eintraf; eine herzliche, fast kollegiale Begrü­ßung durch die Eisen­bahner — es musste einfach ein herr­licher Tag werden.

Zur Einstimmung wurde uns zunächst wie auf dem "Prä­sen­tier­teller" eine der mäch­tigen Güter­zug­maschinen der DR-Reko­baureihe 52.80 foto­ge­recht ser­viert, manche Schau­fel Kohle wurde außer Plan ver­feu­ert, um einige An­fahr­ten mit bild­schöner Dampf­entwicklung vorzuführen. Der Lokführer erinnerte den Chronisten auf eine eigene Art an einen spanischen Toreador, der seinen schwarzen Stier nach allen Regeln der Kunst in Bewegung bringt und dafür sorgt, dass jeder Quadrat­zenti­meter der Arena die Hufe zu spüren bekommt.
Derart eingestimmt, konnte die Be­gei­sterung der An­wesen­den nur noch wachsen, als sich plötz­lich der eigent­liche Star des Tages, die "03", maje­stätisch hinter der Güter­zug­lok hervor­schob.

Nun galt ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit der weit­gereisten Bewun­derer. Meter um Meter Film ver­schlangen die Kameras, während die Lokomotive auf­nahme­gerecht durch die Warte- und Behand­lungs­gleise des Bw gefahren wurde. Auch auf der Dreh­scheibe wurde sie allen Wünschen ent­sprechend ins rechte Licht gerückt.
Als der fotografische "Sturm" sich etwas gelegt hatte, wurde dem ehrfürch­tigen Publi­kum durch einen leiten­den Eisen­bahner der RBD Cottbus aus dem Leben der Lokomotive und ins­beson­dere aus ihrer Görlitzer Dienst­zeit berichtet.

Recht eindrucks­voll fiel der Grö­ßen­ver­gleich zwischen Mensch und Maschi­ne ins Auge, als einer der "schwarzen Män­ner" vom ehe­maligen Stamm­personal der 03 172 neben der Loko­motive Auf­stel­lung nahm und für die Foto­grafen posierte.
Still wurde es — und manchem Teil­neh­mer flog viel­leicht ein Stück­chen Ruß ins Auge... — als dann mithilfe einer Diesellok der Bau­reihe V 60 Lok und Tender getrennt wurden und damit das "Aus" für diese elegante Schnell­zug­loko­motive und ihr Weg zum alten Eisen besiegelt wurde.
Die Erinnerung an diesen Tag wird bei den Teil­nehmern der Veran­stal­tung le­ben­dig bleiben, nicht zuletzt darum, weil die Schilder der Lok und einige andere Zube­hör­teile nicht zum alten Eisen wan­derten, sondern von den begei­sterten Mit­gliedern und Freunden der AG Mär­kische Klein­bahn als Souvenirs mit nach Hause genommen werden konnten.

Die Lokomotive 03 172 wurde 1934 von der Maschinen­fabrik KRUPP in Essen gebaut und durch das Tech­nische Zentral­amt der Deutschen Reichs­bahn-Gesell­schaft am 4. Okto­ber 1934 ab­genommen. Sie wurde im Bahn­betriebs­werk Frank­furt/Oder in Dienst gestellt und im Schnell­zug­dienst eingesetzt.
Aufgrund von Kriegseinwirkungen war sie nach 1945 zunächst in Berlin-Tempel­hof abge­stellt und wurde 1947 im RAW Chem­nitz wieder aufge­arbeitet. Vom 9. Oktober 1947 an lei­stete sie vom Bw Leipzig-Haupt­bahnhof West aus wieder Schnell­zug­dienst und war auf den Strecken Leipzig — Berlin, Leipzig — Cottbus, Leipzig — Erfurt und Leipzig — Halber­stadt einge­setzt.
Ab 25. März 1963 war die Maschine im Bw Stralsund beheimatet. Von hier aus befuhr sie die Strecke Stral­sund — Berlin und kam danach am 24. Mai 1967 zum Bw Cottbus.
Im Dezember 1967 wurde sie im Bw Dresden zu Aushilfsdiensten eingesetzt. Im Anschluss daran wurde sie nach Gör­litz "versetzt", wo sie bis zu ihrer Ausmus­terung am 30. Juli 1981 (mit Ausnahme des Monats April 1973 zwecks Hilfe­lei­stung im Bw Magde­burg) behei­matet war.

Bericht und Fotos: Martin van der Veer